Nachbericht: Daring Prosperity! Wohlstand wagen!

Die soziale Marktwirtschaft verspricht Wohlstand für alle. Aber was bedeutet Wohlstand?  Dass Wohlstand nicht identisch mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist, darf heute als Mainstream-Meinung gelten. Ein Wachstum der Wirtschaft kann deshalb „kein Ziel an sich“ sein. Wie können wir heute ein ganzheitliches Wohlstandskonzept für alle verwirklichen? Was werden private, was werden öffentliche Güter, Dienstleistungen, Institutionen, aber auch Verantwortlichkeiten sein? Wie können wir die tiefgreifenden Veränderungen, die vor uns liegen – in Bezug auf Klima, Technologie und die Art und Weise, wie wir zusammenleben – gestalten und in die richtige Richtung lenken? Welche neuen „Bündnisse der Verantwortung“ können wir schmieden? Wie können wir vielversprechende Ideen oder bewährte erste Praktiken zwischen öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren für Veränderungen initiieren, verbessern, übertragen, fördern oder skalieren?

Diese Fragen gab Kuratorin Verena Ringler den mehr als 100 Teilnehmern der letzten Veranstaltung von „überMorgen“ mit, die gemeinsam mit dem Format „Tipping Point Talks“ der ERSTE Stiftung am 27. November im Odeon Theater in Wien stattfand. Die Tipping Point Talks sind der vielgliedrige Beitrag der ERSTE Stiftung zum 200jährigen Sparkassenjubiläum. Hunderte Menschen vor allem aus der Region Zentral- und Osteuropa kamen im Laufe des Jahres 2019 in den Austausch mit dem Politologen Francis Fukuyama, dem Historiker Timothy Snyder, der Digital-Expertin Marietje Schaake und dutzenden Entscheidern und Entscheidungsvorbereiterin vor allem in Europas Politik, Verwaltung und Wirtschaft.

Industrievertreter und ERSTE Stiftung

Unter dem Motto „Wie lässt sich ein ganzheitliches Konzept für den Wohlstand vieler anstatt nur einiger weniger umsetzen?“ stand bereits der Nachmittag, an dem sich Experten, Entscheider, Praktiker und Nachwuchsführungskräfteaus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlichem Sektor und Zivilgesellschaft mit Lösungen für verschiedenste Fragestellungen unserer Zeit befassten. „Besonders im Fokus stand in diesem Themenparcours die Region Zentral- und Osteuropa 30 Jahre nach Fall des Eisernen Vorhangs,“ erläutert Verena Ringler. Um das Thema Wohlstand und Wertschöpfung in Zeiten der Klimawende möglichst breit abzudecken, lud sie mehr als zwei Dutzend Gesprächsführer ein. Darunter etwa die Chefin für Zentral- und Osteuropa der EBRD, Charlotte Ruhe, den langjährigen Eurogruppen-Koordinator Thomas Wieser, den KMU Vertreter Florin Jianu, den Circle Economy Akteur Harald Friedl und die Migrationsforscherin Alida Vracic. Es galt, Ideen zu kreieren die rasch umsetzbar sind – wie immer vor dem Hintergrund der Frage „welche Gesellschaft wollen wir sein?“. Genau wie der gesellschaftspolitische Diskurs „überMorgen“, will auch das Format des „Think Camps“ als Teil der ERSTE Foundation Tipping Point Talks Menschen verschiedener Herkünfte und Hintergründe an einen Tisch bringen und Raum für einen offenen Diskurs schaffen.

Wertschöpfung der Zukunft

Im zweiten Teil der Veranstaltung sprach Felwine Sarr, senegalesischer Ökonom und Autor des Buches Afrotopia über die Herausforderungen vor denen wir – Afrika und Europa – gemeinsam stehen. Die Tatsache, dass Afrikaner in 35 Jahren ein Viertel der Weltbevölkerung ausmachen werden und sich die Demografie in Afrika deutlich von der in Europa unterscheidet, wird das gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Gleichgewicht weltweit verschieben, so Sarr. (da zitierte Shalini Branko Milanovic, aber Sarr hat das nicht gesagt. Sarr spricht von Wirtschaft als einem kulturellen Prozess und er fordert eine „relationale Ökonomie“, die kulturelle und soziologische Vorgänge stärker abbilden würde. Wenn wir in Zukunft in einer wohlhabenderen und faireren Welt leben wollen, müssen wir gemeinsam einen Mehrwert für alle schaffen, konstatiert der Ökonom. Felwine Sarr appellierte, Europa solle sich mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen und seine Einstellung gegenüber Afrika überdenken.

Auch über die Messung des Wohlstandes muss nachgedacht werden. Nicht-materielle Werte müssen wieder stärker in den Fokus gerückt werden – auch um dem ursprünglichen Ziel der Wirtschaft, nämlich das Wohlergehen einer möglichst großen Anzahl von Menschen, wieder gerecht zu werden.

Felwine Sarr folgen fünf weitere Experten auf das Podium, die unter Anleitung von Ivan Vejvoda, Permanent Fellow am Institut für Wissenschaften vom Menschen (IWM), versuchten Antworten zu finden.

Shalini Randeria, Rektorin des Instituts für die Wissenschaften von Menschen (IWM) gab zu bedenken, dass wenn die Wirtschaft neu gedacht werden soll, auch die Geschlechterverhältnisse neu gedacht werden müssen.

Sergiu Manea, CEO der Banca Comerciala Româna, plädierte dafür aufzuhören Inklusion zu predigen und Exklusion zu praktizieren. Der ungleiche Zugang zu Bildung sei die größte Ungerechtigkeit, da den Menschen so die Möglichkeit der freien Entscheidungsfindung genommen wird.

Dem stimmte Nikolaus Griller, Vizepräsident der Jungen Industrie, Vorsitzender des Gesellschaftsausschusses der Gebauer & Griller Kabelwerke und derzeit „Teach for Austria“ Fellow, zu. Man müsse im österreichischen Bildungssystem viel mehr auf die Potenziale der Kinder fokussieren, anstatt auf die Schwächen.

Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts für Ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien, betont, dass auch der Haushalt der Natur miteinbezogen werden muss, wenn über Wirtschaftswachstum gesprochen wird. Aber auch soziale Ungleichheiten, die ebenfalls einen Einfluss auf das Klima haben, müssen stärker bekämpft werden.

Christoph Badelt, Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, fügte dem hinzu, dass soziale Ziele mit dem gleichen Gewicht versehen werden müssen, wie ökonomische Ziele.

Die Ergebnisse auch dieser finalen Veranstaltung werden in ein Zielebild einfließen, das wir im Frühjahr 2020 präsentieren. Die großartige Kooperation mit der ERSTE Stiftung und der dortigen 2019 Sonder-Serie „The Tipping Point Talks“ möchten wir an dieser Stelle noch einmal herausstreichen.

Agenda

How can we realise a holistic concept of prosperity for the many, not the few?

Eröffnung
Prosperity. Ein filmischer Essay
15′, NGF Geyrhalterfilm

Grußworte
Boris Marte (ERSTE Stiftung)

Vortrag
Felwine Sarr: Wie lässt sich ein ganzheitliches Konzept für den Wohlstand vieler anstatt nur einiger weniger umsetzen?

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